Schreiben?

Als Schriftsteller kreist man ständig um das Schreiben. Es ist der Mittelpunkt des Seins für die schreibende Seele und dementsprechend stellt man sich selbst auch Fragen zum Thema. Ein Frage-und-Antwort-Spiel mit und von Cahal Armstrong.

Kann man beim Schreiben die Welt vergessen?

Ja, gerade in den letzten Wochen hat sich das als sehr angenehm erwiesen. Hochkonzentriert für einige Stunden vollkommen alles und jeden zu vergessen, weil man den gesamten Fokus auf die Entstehung einer Erzählung richtet, lässt kaum einen Vergleich mit anderen Tätigkeiten zu. Es ist beinahe so, als entstehe eine zweite Realität vor einem, die man wie eine optische Linse konzentriert und wie ein Laserstrahl gebündelt auf den Punkt bringen muss. Da bleibt kein Raum und keine Zeit für Sorgen.

Ist das Schreiben einfach oder schwer?

Man könnte sich vorstellen, dass es eine von jenen Tätigkeiten sei, die man locker-flockig mit hochgelegten Füßen auf der Terrasse durchführt. Kann man, habe ich probiert, aber jede Ablenkung hemmt ungemein die Konzentration und damit die Produktivität und Qualität, also macht man das nicht nebenbei, es gilt schließlich, einen Roman zu schreiben. Ein Raum mit optischer und akustischer Ruhe ist für mich Voraussetzung für konzentriertes Schreiben, ebenso Kaffee. Jede Menge psychoaktives, schwarzes Gebräu. Mit einem Schuss Milch. Die Haltung vor der Tastatur, angespannt, beinahe reglos, erfordert es, immer wieder innezuhalten, mal aufzustehen und die Arme kreisen zu lassen. Die Folgen sind nach Jahren auch körperlich zu spüren, man sucht sich am besten einen sportlichen Ausgleich (Notiz an mich selbst).

Schreibt man den ganzen Tag?

Nein, in der Regel geht das gar nicht, höchstens als Ausnahme, was ich auch schon gemacht habe. Als ich an der Uni war, KuWi und Germanistik studiert habe, habe ich auch Vorlesungen zum kreativen Schreiben besucht. Darin wurde versucht, einen Ausblick auf das zu geben, was ich mittlerweile seit fast zehn Jahren beruflich mache. Man wusste nicht viel darüber an der Uni, das kann ich jetzt sagen. Was man allerdings wusste, ist, dass Schreiben Hochkonzentration erfordert. Der Mensch ist nicht in der Lage, mehr als vier oder fünf Stunden hochkonzentriert am Stück zu arbeiten. Es ist möglich, das vielleicht ausnahmsweise zu machen, aber nicht als tägliche Arbeit, vielleicht eine oder zwei Wochen am Stück, man ist dann aber vollkommen fertig und braucht ein paar Tage Pause, um überhaupt wieder konzentriert arbeiten zu können. Im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit sind drei bis vier Stunden Schreibtätigkeit pro Tag realistisch. Den Rest des Tages muss der »Akku« für den nächsten Tag geladen werden – und so weiter, und so fort, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Wer sich dabei zu sehr verausgabt, brennt bloß aus und muss mit den Folgen umgehen. Ich war nahe dran und möchte die Erfahrung nicht wiederholen.

Schreibblockade – was ist das und was tut man dagegen?

Ich halte das für eine Urban Legend oder etwas, das einige Kollegen erfunden haben, um ihren schreibenden Charakteren einen Konflikt aufzubürden, den es zu überwinden gilt. Wer schreibt, macht das beinahe immer, irgendwie. Dabei blockiert man nicht … wie soll das gehen? Schreiben ist ein bisschen so, als würde man einen Karren von der Kuppe eines Hügels stoßen – sobald man das macht, nimmt die Sache Fahrt auf. Vielleicht fällt eine Geschichte schwer, oder ein Kapitel, oder man kämpft mit einer Figur oder hat ein strukturelles Problem oder etwas in der Art, aber in der Regel schreibt man von dem, was einen durchdringt, beschäftigt, auch, wenn man das selbst kaum wahrnimmt. Beim Schreiben blockiert zu sein, wäre so, als hätte jemand das Leben für einen angehalten. Vielleicht gibt es eine solche Situation, ein Trauma nach einem besonders schrecklichen Erlebnis? Das ist dann vielleicht so, als müsste man den Karren erstmal zur Kuppe des Hügels hinaufschieben … ich weiß es nicht, möchte es auch nicht erfahren, wenn ich ehrlich sein soll. Bei mir steht immer ein Karren auf der Kuppe.

Warum überhaupt etwas schreiben?

Ich habe mit vielen kreativen Ausdrucksformen experimentiert, einige auch beruflich erkundet. Das Filmen, in dem ich ausgebildet wurde, hat mir gezeigt, dass Filme niemals nur das Werk einer Person sind. OK, das gibt es auch, ein Freund von mir hat mal ganz alleine ein 3-Stunden-Endzeit-Epos auf einer Videokamera gefilmt, mit sich selbst als einzigem Schauspieler. Aber in der Regel sind Filme künstlerische Kooperationen von Drehbuchautoren, Produzenten, Regisseuren, Kameraleuten, Lichtleuten, Bühnenbauern, Make-up-Profis, Kostümschneidern und nicht zuletzt Schauspielern (und vielen weiteren Leuten). Man kann versuchen, die entscheidenden Bereiche selbst in die Hand zu nehmen, wie Robert Rodriguez, oder über alles Kontrolle auszuüben, wie George Lucas, aber am Ende ist ein Film immer ein Gesamtwerk von vielen Leuten. Bei der Fotografie ist es ähnlich, wenn auch im Umfang deutlich reduzierter. Bei der Fotografie ist es auch einfacher, komplett alleine zu arbeiten, ähnlich wie ein Maler, aber Fotografen und Maler können immer nur einen spezifischen Blickwinkel, einen winzigen Ausschnitt aus der Welt zeigen, die sie in ihrem Inneren erschaffen, wie ein Fragment, das Pars pro Toto für ein ganzes Universum stehen muss. Das ist das Schöne an Bildern, aber es ist auch ihre natürliche Grenze. Als Schriftsteller hat man umfangreichere Möglichkeiten, diesem inneren Universum Ausdruck zu verleihen. Worte dienen als Katalysator, die Fantasie und Lebenserfahrung des Lesers ist das Medium, das einem zur Verfügung steht. Das Lesen und das Schreiben sind insofern eine besondere Ausdrucksmöglichkeit: Eine Person ist in der Lage, einer anderen Person ein ganzes Universum zu zeigen, in all seinen Aspekten. Das geht nur in Erzählungen, deswegen liebe ich das Schreiben.