Weltenschöpfung

Mit diesem Beitrag fangen wir eine Reihe von ähnlichen Beiträgen an, in denen wir über die Hintergründe des Schreibens für unsere Leser berichten. Darin gibt es Einblicke in das Schreiben, oder auch alles rundherum. Dann und wann, wenn es Zeit und Muße zulassen, ergänzen wir die Reihe hier auf Weltenbrunnen.

Leser, die mehr innerhalb der Erzählwelten verbleiben wollen, können jede Menge Zusatzinfos durch unsere Webseiten erhalten: nefilim-ki.de und leitstern-romane.de

Euer Cahal und eure Blake von Weltenbrunnen

Wie man eine Welt erschafft

Schreiben ist einfach eine tolle Sache. Wenn man mit der Welt unzufrieden ist, kann man darüber schreiben. Manche versuchen, durch Anklage ihren kritischen Beitrag zu leisten, andere konstruieren eine Utopie, die andere Lebenswege aufzeigt und beides hat seine Berechtigung.

Um im Hier und Jetzt zu verbleiben, im Alltag, der Realität, muss man jedoch ab und zu eine Auszeit nehmen, sich einfach mal ein paar Stunden der Ruhe gönnen. Das schärft den Blick, macht einem klar, warum man seine Ziele verfolgt, oder lässt einen einfach wieder den Wahnsinn der anderen ertragen.

In diesem Sinne sprechen wir immer wieder gerne von einem »literarischen Zuhause«, wenn wir uns zum Thema Schreiben und Erschaffen neuer Welten äußern.

Aber wie macht man das eigentlich?

Am Anfang war da meist eine Idee. Woher? Die Frage wird jedem Schriftsteller am häufigsten gestellt, lässt sich aber nicht einfach beantworten und wird daher meist, ob nun bewusst oder unbewusst, unwahr beantwortet. Die Literaturwissenschaft lehrt, dass der Leser immer mehr über den Autor eines Textes weiß, als dieser selbst. Bei Autoren, die sich dieser Tatsache bewusst sind, eine fragwürdige These – ist sich der Autor autobiographischer Kontexte bewusst? Lässt er sie absichtlich zu oder nutzt er sie gar? Was verschweigt er oder sie uns?

Es gibt einen Ansatz zur Klärung der Frage nach dem Ursprung der Idee: Sie keimt im Unbewussten, genährt von den Eindrücken und Erlebnissen, Überzeugungen und Gedanken des Autors. Sie ist jedoch nur der Keim. Aus ihr muss in langwieriger Arbeit mit großem Aufwand ein Roman, manchmal sogar eine ganz neue Erzählwelt entstehen, mit tausend Zweigen und tiefen Wurzeln, Blättern und einem soliden Stamm. Manchmal treibt so eine Erzählung merkwürdige Blüten oder beschert einem manch ein Früchtchen. Das ist der Punkt, an dem der Autor zum Gärtner seiner Schöpfung wird … in Ordnung, lassen wir die Metaphern, ihr versteht schon.

Während eine jede Schöpfungsgeschichte irgendwo ihren Ursprung hat, fängt es meist mit einer einzigen Sache an, einer abstrakten Vorstellung von Ereignissen, von einem Charakter oder mehreren, die aufeinandertreffen.
Bei Nefilim KI fing es mit dieser Idee an: Ein Weltraumarchäologe gräbt am unmöglichsten Ort einen Roboter im Eis aus. Das war’s. Wenn man überlegt, was in 27 Bänden daraus entstanden ist, ein ziemlich bescheidener Anfang. So viel zum Verhältnis von Idee und Ausarbeitung.

Eine andere, sehr wesentliche Idee stand jedoch am Anfang der Geschichte von Nefilim KI und sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung: Es ging darum, einen unendlichen Weltraum zu zeigen, in dem nicht nur viele intelligente Spezies leben, sondern bereits gelebt haben. Und diese Weite, diese Größe auch in den Ereignissen, sollte der Leser durch die Augen eines Menschen sehen, der nicht immer den Durchblick hat, sondern subjektiv ist, manchmal planlos – so wie wir alle, egal, was wir uns einbilden mögen.

Ein anderer Ansatz ist bei den Kabal-Romanen genommen worden. Dort stand die Idee im Vordergrund, was aus höchster Technologie entsteht, wenn ihr Ursprung vergessen wird: Magie? Die Suche einer Vielzahl übergroßer Helden und Heldinnen, Halbgötter und Götter nach dem Ursprung ihrer Macht ist eine eher abstrakte Idee, die weniger die subjektive Wahrnehmung des Einzelnen betrifft.

Stellt auch vor, der Held wäre eine Ameise …

Daher unterscheiden sich beide Erzählungen auch in ihrer Erzählhaltung: Nefilim KI wird in der subjektivsten Weise, dem Ich-Erzähler wiedergegeben, während bei den Kabal-Romanen die dritte Person angewendet wird. Wenn man eine Welt erfinden will, ist also auch wichtig, wie sie vom Erzähler vermittelt wird.

Sobald die Grundideen und die ersten Charaktere umrissen sind, entstehen dabei meistens Ideen zur Welt, in der sie sich befinden und wie sie mit ihr interagieren. Gibt es nur eine Welt oder viele? Wandeln unsere Protagonisten zwischen ihnen aus Gewohnheit oder wäre der erste Schritt in eine andere Welt das Ziel – oder der Auslöser der Geschichte? Welche Mittel stehen für die Reise (es gibt meistens eine Reise für unsere Helden) zur Verfügung?

Zwei Hunde, ein Knochen

Was man bei Marvel und Co. so langsam nicht mehr sehen kann, ist ein althergebrachter Erzählertrick, die Erschaffung des »Bösewichts«. Wird ein Problem zum Antagonisten, erlegt sich der Autor jedoch größere Schwierigkeiten auf, denn Probleme sind meist weniger »fügsam«, als Schurken, wenn es um Regieanweisungen geht. Sie erfordern mehr Überlegung.

Das Begehren des Anderen

Ein Antrieb für alles vorstellbare Verlangen nach etwas ist, dass es jemand anderes will. Hä? René Girard schrieb viel darüber in seiner Betrachtung der literarischen Mimesis und was sich daraus für uns kulturhistorisch und anthropologisch entwickelt haben könnte. »Ich will das, was der andere hat«, könnte eventuell unsere ganze Menschheitsgeschichte erklären. Woher das erste Wollen kommt? Vielleicht ist es ein bisschen wie mit der Quantenphysik: ein Beobachterproblem. Man glaubt, jemand will etwas unbedingt, daher will man es selbst, ohne zu wissen, ob das wirklich so ist. Sobald man sich dazu entschieden hat, es selbst zu wollen – Zack! – entsteht ein Problem: Gier, Eifersucht, Neid, all die negativen Triebe des Menschen werden damit zum Motor eines glaubwürdigen Antagonisten.

Aus der Erfahrung des Schreibens einiger Dutzend Romane und Kurzgeschichten kommt eine Erkenntnis: Zufall hat einen großen Wert

Das mag merkwürdig klingen, doch jede gute, glaubwürdige Erzählwelt braucht Elemente des Chaos. Zu viel Ordnung lassen sie wie flache Charaktere erscheinen: eindimensional und langweilig. Werfen wir einen Blick auf unsere Welt, erkennen wir das Chaos lange vor der Ordnung. Manchmal scheint es nichts anderes zu geben und was wir an einem Tag für ein unumstößliches Konzept oder eine eherne Tatsache halten, wird am nächsten Tag widerlegt, oft aus dem gleichen Munde. Das allein sagt mehr über unsere Welt als jede Abhandlung.

So ähnlich sollte es sich mit erschaffenen Welten verhalten, nur weniger extrem, die beherrschenden Kräfte werden vom Schöpfer der Welt schließlich durchschaut. Darin steckt der Ansatz zu einem Ideal, letzten Endes der Kern einer jeden Idee. Beispiel: Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit. Dieser Ordnungsansatz allein eröffnet ein ganzes Universum, buchstäblich. Um der Erzählung den nötigen Konflikt zu geben, kann man diese Möglichkeit begrenzen, zum Beispiel durch ein »Unobtainium«. Irgendein Stoff, der nicht erhältlich ist und so rar, dass dieser mit allen erdenklichen Mitteln gejagt werden muss. So wie bei fossilen Brennstoffen. Moment mal … unsere Welt ist ja doch nicht so kompliziert … oder doch

Nach diesen groben Zügen, in denen das Bild einer Welt gezeichnet wird, folgen die Feinheiten und die Farbe. Besondere Orte, Fraktionen, technische oder übernatürliche Mechanismen und ihre Wechselwirkung mit der Welt und den Charakteren. Der Demiurg stellt sich dabei meist Fragen. Am Beispiel von Nefilim KI: Was sind die Nefilim? Woher kommen sie? Wie sind sie entstanden? Welche Fähigkeiten haben sie? Welche Ziele verfolgen sie? Was ist ihr größtes Problem?

Bei den Nefilim ergab sich dadurch die Handlung der ersten vier Bände, die den Anfang der Reihe darstellen und damit die Richtung vorgaben. Sie erschaffen ein Erzähluniversum, das von technologischen Wundern und ihrem Missbrauch erzählt, von dem Streben nach Unsterblichkeit und dem Kampf gegen den Tod, von Krieg und Größenwahn, Niederlage und Verlust einer Heimatwelt und Kultur.

– to be continued –